Annapurna

Dienstag, 11. Dezember: "Dünnschiss" und ein Muli 

Die Nacht war ein Graus: Ich war ständig zwischen Toilette und Bett unterwegs. Habe wohl etwas gegessen, das meinem Magen nicht so ganz bekommen ist. Irgendwann beginnen die Tabletten zu wirken, muss nur noch alle 30 Minuten aufs Klo.

Ein guter Einstieg in die Trekkingtour! Schon als es losgeht ins Annapurna-Massiv, bin ich fix und fertig, frage mich, ob es überhaupt Sinn macht, mitzukommen. Nachdem es drei Optionen gibt, die Tour abzubrechen, steige ich ins Geschehen ein:

Wenn es nicht mehr weiter geht,   

  • mit einem lokalen Träger zurück zum Ausgangspunkt und per Taxi nach Pokhara,
  • einen Träger chartern, der einen hochträgt (die arme Sau!),
  • ein Muli chartern, auf dem ich hoch reite. 

Insgesamt werden wir 6 Tage unterwegs sein. Start ist in Birethani auf 1.050 Metern, höchster Übernachtungsort wird Ghorepani auf 3.050 Metern sein. Übernachtet wird in einfachen Teehäusern. Die ersten beiden Tagen geht es entlang einer uralten Handelsstraße, die weiterführt über das Königreich Mustang nach Tibet. Unser Blick fällt dabei immer wieder auf die Berge des Annapurna-Massivs, einem der 14 Achttausender der Erde. Soweit die Theorie. Denn heute ist von den Bergen nichts zu sehen.

Zusätzlich zu den acht Teilnehmern der Tour und Jan, unserem Reisebegleiter, haben wir noch einen Guide dabei und vier Träger, die unser Gepäck tragen. Der älteste der Träger, "Mama", ist 58 Jahre. Die Träger haben neben ihrem eigenen Gepäck und allem zum Teekochen, außerdem unsere 9 Gepäckstücke dabei mit je 10-15 kg. Hinzu kommen noch das eigene Gepäck, Kochutensilien und Essen. Jeder trägt also so seine 30 bis 40 kg mit sich rum.

Das Etappenziel des ersten Tages ist Tikhedhunga auf 1.540 Metern. Hört sich eigentlich simpel an, gerade mal 500 Höhenmeter. Wenn, ja wenn da nicht zum einen die Tatsache wäre, dass die Steigungen ausschließlich über Treppen überwunden werden und zum anderen meine Verdauung nicht so ein Eigenleben entwickeln würde.

Nach der Mittagspause werde ich immer langsamer. Irgendwann geht nichts mehr, meine ständigen Toilettenbesuche letzte Nacht haben mich zu sehr geschwächt. Allen isotonischen Getränken zum Trotz: Ich kann nicht mehr!

Auf der Strecke sind zahlreiche Muli-Karawanen unterwegs, so kommt man vergleichsweise leicht an ein Muli ran. Nach zähen Verhandlungen von Jan ergattere ich ein Muli, der mich die letzten 4-5 km zu unserem Teehaus bringt. Das Reiten ist aufgrund des ständigen Treppaufs/Treppabs auch nicht ganz einfach. 

Zum Abendessen gibt es für mich eine Reissuppe – da ist wirklich nur Reis drin mit etwas Wasser. Das Teehaus ist ganz nett, wennglich es überall saukalt ist. Heizung gibt es hier, wie auch sonst in Nepal keine. Der einzige warme Ort ist mein Schlafsack. Immerhin gibt es hier eine Toilette zum draufsetzen - das nutze ich doch glatt mal aus...

Mittwoch, 12. Dezember: Annapurna – und es gibt ihn doch

Am nächsten Morgen fühle ich mich wieder viel besser. Kopfzerbrechen bereitet mir, dass heute das härteste Stück ansteht, hoch nach Ghorepani auf 3.050 Metern. 1.600 Höhenmeter, für die 8 Stunden kalkuliert werden. Gleich auf dem ersten Kilometer erwarten uns 3.280 Stufen! Oh Mama mia!

Gedanklich mache ich mich schon bereit, mir wieder ein Muli zu leihen – überraschenderweise halte ich durch. Ob es an meiner Konstitution, den isotonischen Getränken, dem Zuspruch der Mitreisenden oder einfach auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass endlich die Sonne scheint und wir erstmals die Sieben- und Achttausender zu sehen bekommen? Ich weiß es nicht.

Blick von Ghorepano auf die 8000er der Umgebung (c) Peter BelinaOben am Pass erwartet uns wieder eine einfache, aber saubere Unterkunft. Wie muss man sich so ein Teehaus vorstellen? Im Mittelpunkt steht ein Aufenthaltsraum, hier mit einer Fensterfront auf ein grandioses Panorama mit 2 Achttausendern und (ganz wichtig !!!!!) mit einem Holzofen. Im Erdgeschoss sind außerdem eine Toilette (Loch im Boden), ein Waschbecken, eine Dusche und die Küche. Im ersten und 2. Stock dann die kleinen Schlafzimmer mit je 2 Betten, lediglich mit einem Leintuch. Dazu kommt der eigene Schlafsack. Kein Schrank, kein nichts. Die Wände sind ganz dünn, mal aus Wellblech, mal aus Pappmaché oder dünnem Holz. Da alles selbst zusammengebaut wird, kann der Boden schon mal richtig schief sein. Drinnen ist es so kalt oder warm wie draußen, aber trocken und sauber.

Als wir in Ghorepani ankommen, werden wir mit einem tollen Blick auf Annapurna Süd und Fishtail empfangen, dem Matterhorn des Himalaya. Kaum sind wir in der Lodge, müssen wir auch schon wieder raus. Das Heizungsrohr des einzigen Ofens ist gebrochen, es droht eine Kohlenmonoxidvergiftung. Nach einer 30-minütigen Reparatur mit Ton geht der Ofen wieder, den heute Abend keiner so schnell verlässt.

Donnerstag, 13. Dezember: Oberhalb der Schneegrenze

Heute geht es weiter über Ban Thani (3.180 Meter) nach Tadapani (2.590 Meter). Die ersten 5-6 km geht es dabei immer wieder durch Altschnee, was das Gehen nicht leichter macht. Wir gehen gerade auf das Annapurna-Massiv zu. Landschaftlich sehr schön, wenngleich wir inzwischen das normal bewohne Gebiet verlassen haben.

Leider muss man sich hier, wie auch sonst, unglaublich auf den Weg vor sich konzentrieren, sodass man gar nicht die Muse hat, sich unbeschwert umzuschauen.

Blick auf das Annapurna-Massiv (c) Peter Belina

In Tadapani erwartet uns im Aufenthaltsraum ein sogenannter "tibetanischer Ofen": Ein Tisch mit einer dicken Tischdecke drum rum, die bis zum Boden geht. Unter dem Tisch sind zwei Pfannen mit heißen Kohlen. So bleiben Füße und Beine warm. Wenn man nicht gerade seine Schuhe in die Pfanne stellt...

Abends komme ich mit Kali (Spitzname "Karin") ins Gespräch, einer 32-jährigen Nepali, deren Eltern in Tibet geboren und von dort geflohen sind. Kali verkauft eigentlich Andenken in Pokhara. Aufgrund der unglaublichen Zahl an Geschäften, hat sie beschlossen, es einmal hier oben zu probieren; schließlich gibt es hier weniger Konkurrenz. Obwohl sie es nie gelernt hat, kann sie sehr gut Englisch und auch etwas Deutsch. Wird ein unterhaltsamer Abend.

Freitag, 14. Dezember: Mach ein Foto von mir!

Heute trennen sich unsere Wege. 7 von uns gehen weiter nach Chomrong – 800 Meter runter und 400 wieder hoch, näher ran an das Annapurna-Massiv. Wir gehen zu zweit nach Ghandruk (1.940 m), dem Hauptort der Gegend und dem Zentrum der ACAP. 

Blick auf den Machhapuchhare (6.997 m) - (c) Peter Belina

Um im Annapurna-Massiv trecken zu können, müssen 2.000 Rupien bezahlt werden. Dieses Geld wird von der ACAP in Lokalkomitees verwaltet und verwendet z.B. für den Bau von kleinen Wasserkraftwerken, Aufstellen von Mülleimern, dem Aufbau von Kerosin-Depots (zur Verringerung des Holzverbrauchs), für ein Plastikflaschen-Rücknahmesystem usw.

2002 wurde das ACAP-Zentrum von Maoisten in die Luft gesprengt. Seitdem greifen diese aber gottlob keine Touristen und touristische Infrastruktur mehr an. Die Maoisten haben einen Großteil des flachen Landes in ihrer Hand, die Zentralregierung v.a. das Kathmandutal. Seit einigen Monaten gibt es wieder einen recht stabilen Waffenstillstand, Neuwahlen Mulikarawane passiert Ghandruk (c) Peter Belinasind für Anfang 2008 angesetzt.

Die Wanderung ist angenehm, es geht mitten durch einen verwunschenen Wald, der auch aus Tolkiens "Herr der Ringe" stammen könnte.

Gegen 13 Uhr kommen wir an, Zeit genug, sich den Ort anzusehen. Die Leute sind – wie überall – sehr freundlich. Überall sprechen mich Kids an, mit der Bitte, ein Foto von ihnen zu machen. In Hinterhöfen stoße ich auf Handwerker, überall ist Leben. Ich folge einem Schild "Temple" Oh Mann! 1 ½ Stunden, 400 Höhenmeter und 2.222 Stufen später komme ich endlich dort an. Toller Ausblick.

Unser Teahouse macht einen luxuriösen Eindruck, sogar mit eigenen Duschen. Leider gibt es dort nur kaltes Wasser. Auch die Waschbecken sind spannend. Die normalen Wasserhähne funktionieren nicht, man muss die Verschlüsse unterhalb des Beckens verwenden. Ein Abwasserrohr gibt es nicht, das Wasser läuft einfach unten raus und verschwindet in einem Loch im Fußboden. Wie in den meisten Toiletten funktioniert auch hier die Spülung nicht. Dafür steht ein Eimer bereit. 

Samstag 15. Dezember: Volleyball-Länderspiel

Gestern hat uns Mama als Träger begleitet. Zusammen mit ihm gehe ich den anderen ein Stück entgegen. Sakra! Wenn Mama kein Gepäck zu tragen hat, packt er den Turbo aus. Wir schaffen die Strecke, für die 1 h ausgewiesen ist, in 30 Minuten. Röchel! 

Am Nachmittag sind wir mit der Dorfjugend zu einem Volleyballspiel verabredet – macht riesig Spaß. Man sollte nur darauf achten, den Ball nicht zu weit rechts ins Aus zu befördern. Die Gegenseite hat einen, der einen unglaublich harten Schmetterball darauf hat. Bei einer verunglückten Abwehr meinerseits fliegt der Ball 7 oder 8 Reisfeldterrassen nach unten. Das Spiel muss mehr als einmal unterbrochen werden, weil wir den Ball wieder irgendwie hochholen müssen.

Sonntag 16. Dezember: Die "Zivilisation" hat uns wieder

Heute geht es wieder zurück ins Tal. Die erste Hälfte über Stufen, der Rest einen Bach entlang. Schade, der Höhepunkt der Reise ist vorbei. Beim Bergab gehen lerne ich die Stufen schätzen. Geht sich wesentlich bequemer als bei uns in den Alpen, ein Muskelkater bleibt mir erspart. 

Am späten Nachmittag kommen wir wieder in Pokhara an, diesmal sieht man auch von hier Berge. Ich gehe zu einem Frisör, der mir den 5-Tagesbart abrasieren soll. Kostet 50 Rupien (also 0,55 Euro). Letztendlich lasse ich mir noch die Haare schneiden, die Augenbrauen stutzen, die Nasenhaare entfernen, bekomme eine Kopfmassage, ein Rücken-, Schultern-, Arm- und Pobackenmassage. Hey Leute, ich bin im Urlaub! Kostet letztendlich auch nur gut fünf Euro. Habe heute mindestens 2 Leute glücklich gemacht: Mich und den Frisör.

 

In einer halben Stunde geht es in Richtung Chitwan-Nationalpark, tief unten im Terai, einer Region rund 100 Meter über dem Meer. Per Elefant geht es dort auf Safari. Zu sehen gibt es u.a. Nashörner und mit (viel) Glück auch Tiger.